Positionspapier der Bundesarbeitsgemeinschaft ASD zur Situation in den Allgemeinen Sozialen Diensten
Das Positionspapier nimmt Bezug zu dem Beschluss des Präsidiums des Deutschen Städtetages zum Fachkräftemangel ASD vom 22. November 2022 - 444. Sitzung - in Hannover
Aktuelle Situation in den Allgemeinen Sozialen Diensten und in der Hilfe zur Erziehung
Ein weiterer Anstoß zu diesem Positionspapier war die Diskussion auf der Mitgliederversammlung der BAG ASD vom 07.12.2022 zum o.g. Beschluss.
„Der Baum brennt" war die Aussage eines Mitglieds. Diese Aussage beschreibt eindrücklich die prekäre Situation der ASDs, gleich ob im Norden, Süden, Osten oder Westen Deutschlands, egal ob kleines, mittleres, großes Stadt- oder Landkreisjugendamt.
Die Initiative und den Beschluss des Städtetags begrüßt die BAG ASD ausdrücklich; rückt er doch die schwierige Situation vieler ASDs in den Fokus. Gleichzeitig fordert die BAG ASD die kommunalen Spitzenverbände, aber auch Bund und Länder zum Dialog und damit zum Einbezug von Praxis und Wissenschaft auf.
Allerdings sind die Gründe für die Probleme in den ASDs nicht nur auf die hohe Anzahl an Geflüchteten zurückzuführen und liegen in ihren Entstehungszusammenhängen schon weiter zurück. Dies Aufnahme der Geflüchteten hat wie ein Brennglas die prekäre Situation in der Hilfe zur Erziehung vielmehr noch verstärkt. Denn nicht nur die ASDs, die unter Fachkräftemangel, hoher Fluktuation und vakanten Stellen leiden, auch die freien Träger der erzieherischen Hilfen können Stellen nicht mehr besetzen, finden kein Personal oder können die seitens der Betriebserlaubnisbehörden gesetzten fachlichen Standards nicht mehr einhalten. Dies führt dazu, dass Angebote für Kinder, Jugendliche, junge Menschen und Familien fehlen und die Angebotslandschaft „immer mehr in Schräglage" gerät.
In der Folge finden die Fachkräfte in den ASDs keine geeigneten Angebote - sowohl für eine akute Unterbringung in Krisensituationen als auch für die sogenannten „Systemsprenger*innen" - und verbringen einen großen Teil ihrer Zeit mit unendlich vielen Platzanfragen in ganz Deutschland.
Inzwischen sind die ASDs teilweise gezwungen, Kinder und Jugendliche in schwierigen Situationen zu belassen oder außerhalb jeglicher Standards zu versorgen. Als Beispiele seien die auch in den Medien benannten „Turnhallenunterbringungen für unbegleitete minderjährige Geflüchtete", die Brückenlösungen in NRW in Bezug auf die ukrainischen, minderjährigen Flüchtlinge, ständige Überbelegungen in Wohngruppen, die Beaufsichtigung von in der Nacht in Obhut genommenen Kindern und Jugendlichen in Büros der ASO-Fachkräfte oder Unterbringungen in Jugendherbergen oder Hotels ohne pädagogisches Personal genannt.
Hier scheint aus unserer Sicht ein komplettes Hilfesystem aus den Fugen zu geraten und braucht dringend Lösungen. Der jetzige Beschluss des Städtetags ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Wie konnte diese flächendeckende Schräglage entstehen?
Der ASD in den letzten Jahren
Beim Blick zurück lässt sich festhalten, dass die ASDs sich seit 2015 in einem permanenten Krisenmodus befinden:
In dieser Zeit kamen unzählige unbegleitete minderjährige Geflüchtete nach Deutschland, die zunächst einmal mit dem Nötigsten versorgt werden mussten, deren Schutz sichergestellt werden musste und die es dann in die Gesellschaft zu integrieren galt. Unter zumindest anfangs weitgehend ungeklärten Rahmenbedingungen {z.B. wurde der§ 42a SGB VI11 erst zum 01.11.2015 ins Gesetz eingefügt; fehlten Unterbringungsmöglichkeiten und Wohngruppen) stellten sich die Kolleg*innen in den ASD dieser neuen Herausforderung.
Während z.B. Schulen, Kindertageseinrichtungen, mobile Angebote der Jugendarbeit von einem Tag auf den anderen gezwungen waren Angebote aufgrund von Corona-Schutzmaßnahmen massiv einzuschränken und zeitweilig sogar ganz einzustellen, blieben die ASD Fachkräfte jederzeit bereit, machten ungeschützt und nicht geimpft Hausbesuche und führten zahlreiche Gespräche, um Familien in dieser kritischen Situation zu entlasten. Sie stellten zusammen mit den Trägern der Erziehungshilfe den Kinderschutz sicher und nahmen in Krisensituationen Minderjährige in Obhut.
Corona hielt und hält weiter an und - hinzu kamen die verheerenden Folgen des fürchterlichen Krieges in Europas im Februar 2022. Wieder waren und sind die ASDs gefordert, kümmerten sich um ganze Kinderheime, die vor dem Krieg nach Deutschland flohen.
Gleichzeitig kamen und kommen auch wieder vermehrt Geflüchtete aus den bereits bekannten Krisenregionen.
Viele Familien spüren, die in den letzten Monaten gestiegenen Lebenshaltungskosten durch die Energiekrise. Verunsicherung und Sorge wachsen täglich, die familiären Belastungen nehmen zu. Dies führt zu einer deutlich verstärkten Inanspruchnahme der ASDs.
All diesen Herausforderungen haben sich die Kolleg*innen in den ASDs {gemeinsam mit den Trägern der Hilfen zur Erziehung) gestellt. Sie haben sich als krisentauglich und „chaoskompetent und anpackend" aber insbesondere höchst verantwortungsbewusst gegenüber den ihnen anvertrauten Kindern, Jugendlichen, ihren Familien erwiesen.
Neben diesen seit dem letzten Weltkrieg so ausdauernd und langanhaltend noch nicht dagewesenen gesellschaftlichen Krisen, gab und gibt es zahlreiche weitere Aufgaben für die ASDs. Zu nennen sind hier insbesondere die sich stetig erhöhenden Anforderungen im Kinderschutz und die öffentliche Debatte um das „Versagen der Jugendämter", die Umsetzung der zahlreichen Änderungen des KJSG, die Vorbereitung der sogenannten „großen Lösung" bis 2028 sowie die Anforderungen im Zusammenhang mit der Digitalisierung.
Aktuelle Fragestellungen
Vor dem Hintergrund der o.g. praktischen Alltagsrealitäten stellen sich immer drängender folgende Fragen, um nur einige zu nennen:
Die Kolleg*innen im ASD priorisieren immer den Kinderschutz an erster Stelle. Immer mehr ASDs müssen aber andere, für die Gesellschaft ebenso wichtige Aufgaben, notwendige Beratungs- und Hilfeprozesse reduzieren oder zeitweilig aussetzen. Und: Bei angespannter Personalsituation können auch die Standards im Kinderschutz in Gänze zeitweilig nicht mehr eingehalten werden. So entstehen auf der einen Seite neue, prekäre Lebenssituationen in den Familien, neue „Kinderschutzfälle". Auf der anderen Seite führt diese Situation zu einer steigenden Unzufriedenheit bei den Familien und Fachkräften, zur Fluktuation und zu einer weiteren Belastung das verbliebene Kolleg*innen. Ein stetig sich beschleunigender Teufelskreis.
Und nun?
Aus Sicht der BAG ASD braucht es dringend Initiativen zur Eindämmung des Fachkräftemangels aber auch zur wirksamen Entlastung Derjenigen, die sich in den ASDs tagtäglich den o.g. Herausforderungen erneut stellen.
Ansatzpunkte und Lösungsmöglichkeiten könnten sein:
Die Liste lässt sich mit Sicherheit noch weiter fortsetzen.
Zum Abschluss
Fachkräfte im ASD arbeiten gerne im ASD und mit den Familien. Sie erleben ihre Arbeit als interessant, sinnstiftend und verantwortungsvoll und sie stellen sich den immer wieder neuen Herausforderungen. Wir als BAG ASD erleben Kolleginnen und Kollegen, die sich gerne um fachliche Standardsetzungen und eine fachliche Haltung „streiten", die sich einbringen und die immer wieder als Seismograph für diese Gesellschaft auf vermeintliche Fehlentwicklungen hinweisen.
Wenn aber diese Fachkräfte, diese „Krisenbewältiger*innen" selbst immer mehr in die Krise geraten
{vakante Stellen, zunehmende Arbeitsbelastung, Reduzierung von fachlich sinnvollen Standards) und ihnen das notwendige Handwerkzeug fehlt {ausreichende ambulante Hilfen, Heim-, Wohngruppen- und lnobhutnahme- und Krisenplätze), ist ein Zusammenschluss und ein gemeinsames Handeln auf allen Ebenen {ASD, Träger der Erziehungshilfe, Landesjugendämter und Politik) zur Verhinderung eines Systemversagens dringend erforderlich.
Es ist noch nicht zu spät. Wir fordern auf, mit uns - mit der Praxis - zu diskutieren, Ideen zu entwickeln und nach Lösungen zu suchen. Erste Schritte sind vielerorts gemacht, sie müssen aber unterstützt und verstetigt werden.
Gez. Anke Berkemeyer, Corsi Peters, Bernhard Redecker, Kerstin Kubisch-Piesk Bundesarbeitsgemeinschaft ASD
19.12.2022